Weevil News

http://www.curci.de/Inhalt.html

No. 25

9 pp.

10th January 2005

ISSN 1615-3472

Stüben P.E. (2005): Zur Verbreitung von Kyklioacalles navieresi (Boheman 1837) und Kyklioacalles roboris (Curtis 1834) im Rheinland / Germany unter besonderer Berücksichtigung der Fundumstände auf dem Bausenberg (Eifel). (Coleoptera: Curculionidae: Cryptorhynchinae) - Weevil News: http://www.curci.de/Inhalt.html, No. 25: 9 pp., CURCULIO-Institute: Mönchengladbach. (ISSN 1615-3472).

 

Zur Verbreitung von Kyklioacalles navieresi (Boheman 1837) und Kyklioacalles roboris (Curtis 1834) im Rheinland / Germany unter besonderer Berücksichtigung der Fundumstände auf dem Bausenberg (Eifel)

(Coleoptera: Curculionidae: Cryptorhynchinae)

von

Peter E. Stüben, Mönchengladbach*

mit 28 Abbildungen

 

[Stüben]

Abstract

Distribution of Kyklioacalles navieresi (Boheman, 1837) and Kyklioacalles roboris (Curtis, 1834) in the Rhineland / Germany and finding circumstances at the Bausenberg / Eifel Mountains (Coleoptera: Curculionidae: Cryptorhynchinae); with 28 figures.

Starting from differential diagnosis, identification of food and host plants and of Palaearctic and parapatric distribution, the occurrence of the species Kyklioacalles navieresi (Boheman, 1837) and Kyklioacalles roboris (Curtis, 1834) in the Rhineland is presented and discussed. Both species were found at the Bausenberg / Eifel Mountains for the first time in the same area.

The hypothesis, that Kyklioacalles roboris is the more hygrophilous species over large parts of Europe, must be completed by the hypothesis that Kyklioacalles navieresi clearly prefers more xerothermous sites. On the southern sun-exposed slopes of the Bausenberg, a former volcano of Eifel Mountains, with a sparse and dry vegetation of Quercus robur shrubs, exclusively Kyklioacalles navieresi could be found. In the summer month, this part of the Bausenberg is often drying out and heating up within short periods. Based on experiences with other Kyklioacalles species, the two first larval stages of Kyklioacalles roboris cannot develop in such dry habitats; they need three month in high summer. However, they have a better chance in dense deciduous forests or in hedgerows with Carpinus betulus L. Moist and shady habitats are clearly preferred by Kyklioacalles roboris at the Bausenberg.

Key Words

Coleoptera, Curculionidae, Cryptorhynchinae, Kyklioacalles navieresi, Kyklioacalles roboris, biology, ecology, host-plant, Germany, Rhineland, Bausenberg.

Zusammenfassung

Ausgehend von der Differentialdiagnose, der Darstellung der Fraß- und Entwicklungspflanzen sowie der paläarktischen und der parapatrischen Verbreitung der Arten Kyklioacalles navieresi (Boheman 1837) und Kyklioacalles roboris (Curtis 1834) wird das Vorkommen im Rheinland, insbesondere das auf dem Bausenberg (Eifel) erstmalig beobachtete gemeinsame Auftreten beider Arten, dargestellt und diskutiert.

Die These, dass in weiten Teilen Europas Kyklioacalles roboris die hygrophilere Art ist, muss um die These, dass Kyklioacalles navieresi die eindeutig xerothermere Standorte präferierende Art ist, ergänzt werden. So findet sich auf den Südhängen des Bausenbergs, eines ehemaligen Eifel-Vulkans, in den lichten, trockenen Quercus robur - Gebüschen ausschließlich Kyklioacalles navieresi ! Dieser Teil des Bausenbergs kann rasch austrocknen und sich unter der offenen Vegetation in den Sommermonaten sehr stark erwärmen. Legt man die Erfahrungen mit anderen Kyklioacalles-Arten zugrunde, werden sich die Larven von Kyklioacalles roboris - während der dreimonatigen Entwicklung im Hochsommer - in den ersten beiden Larvalstadien mit solchen trockenen Habitatstrukturen nicht abfinden, hier also keine geeigneten Entwicklungsmöglichkeiten vorfinden. Hingegen werden sie diese Entwicklungsmöglichkeiten eher in den dichteren Laubwäldern oder unter Hecken (z.B. an Carpinus betulus L.) antreffen. Es sind die feuchten und schattigen Habitatstrukturen, die die Imagines von Kyklioacalles roboris auch auf dem Bausenberg eindeutig präferieren.

 

Einleitung und Differentialdiagnose

In meiner "Revision des Genus Kyklioacalles und der Beschreibung der Untergattung Palaeoacalles subg. n. unter Heranziehung phylogenetischer, morphogenetischer und biogeographischer Aspekte" aus dem Jahre 2003 habe ich die Art Acalles navieresi Boheman 1837 resynonymisiert und zusammen mit der Art Acalles roboris Curtis 1834 in die Gattung Kyklioacalles Stüben 1999 transferiert und redeskribiert. [Stüben 2003a: 116-166]

Das neue Subgenus Palaeoacalles ist bis auf wenige Ausnahmen - den hohen Norden Europas und den nordafrikanischen Raum - in der ganzen Westpaläarktis (mit dem Schwerpunkt in Mitteleuropa) verbreitet und wird hier von den drei Arten Kyklioacalles roboris [Fig. W25.1], Kyklioacalles navieresi [Fig. W25.2] und einer noch neu zu beschreibenden Art aus Kroatien [Stüben 2005e] vertreten.

Es ist - so scheint es zunächst - nur schwer nachvollziehbar, dass die beiden Arten Kyklioacalles navieresi und Kyklioacalles roboris von den rheinischen Lokalfaunisten bisher nicht getrennt wurden. Denn tatsächlich kommen sie im Rheinland sehr häufig „nebeneinander“ vor, auch wenn sie, wie noch zu zeigen sein wird, verschiedene Habitatansprüche stellen.

Tatsächlich sind die Arten selbst ektoskelettal leicht zu unterscheiden, wenn man alle Merkmale einbezieht und davon ausgehen darf, dass an einem Fundpunkt immer nur eine Art vorkommt. Letzte Sicherheit kann natürlich wie bei allen westpaläarktischen Cryptorhynchinae (außer den Arten des Genera Echinodera und Ruteria) nur die Innensackstruktur des Aedoeagus geben.

Kyklioacalles navieresi unterscheidet sich von Kyklioacalles roboris:

·        1.  durch kürzere Elytren: 1,04x - 1,10x länger als breit; "kastenförmig", untersetzt, vor der Mitte mit annähernd parallelen Seiten, zur Spitze hin halbkreisartig verrundet [Fig. W25.3][Fig. W25.4][Fig. W25.5];

·        2.  durch Elytrenstreifen, deren Punktur auch auf den äußersten Streifen kaum größer wird und hier auf die immer noch deutlich breiteren Intervalle nicht übergreift; Intervalle deutlich flacher [Fig. W25.6];

·        3.  durch das weitgehende Fehlen von Borstenkämmen auf den Intervallen (fehlen immer auf dem Elytrenabsturz); Intervalle in der Regel nur mit wenigen winzigen, aufrechten Borsten besetzt [Fig. W25.5];

·        4.  durch das sehr breite, annäherend parallelseitige Pronotum: 1,25x - 1,33x breiter als lang; breiteste Stelle am Ende des 1. basalen Drittels (auch in der Mitte); Seiten ± parallel oder von der breitesten Stelle bis zur Pronotumbasis gradlinig enger werdend [Fig. W25.4];

·        5.  durch die Form des Aedoeagus: Spitze verrundet, ebenfalls Medianlobus seitlich gleichmäßig langoval verrundet [Fig. W25.7];

·        6.  durch die Innensackstruktur des Aedoeagus: Diese ist 3x länger als (an der breitesten Stelle) breit [Fig. W25.8][Fig. W25.9][Fig. W25.10].

In diesen Merkmalen unterscheidet sich Kyklioacalles roboris von Kyklioacalles navieresi:

·        1*. durch längere Elytren; 1,10x - 1,18x länger als breit; seitlich langoval verrundet, zur Spitze hin mit einer schwachen seitlichen Depression (also hier nicht gleichmäßig, halbkreisartig verrundet) [Fig. W25.11][Fig. W25.4][Fig. W25.5];

·        2*. durch Elytrenstreifen, deren Punktur zu den äußersten Streifen hin deutlich größer wird, auf die Intervalle übergreift und diese auf schmale, stark hervortretende Grate reduziert; Intervalle stärker kielartig hervorgehoben [Fig. W25.6];

·        3*. durch die auf dem 2. und 4. Intervall des Elytrenabsturzes gut zu erkennenden feinen Borstenkämme [Fig. W25.5];

·        4*. durch ein schmaleres Pronotum: 1,16x - 1,23x breiter als lang; breiteste Stelle am Ende des 1. basalen Viertels; bis unmittelbar vor dem Vorderrand seitlich gleichmäßig schwach verrundet. [Fig. W25.4];

·        5*.  durch die Form des Aedoeagus: Spitze abgeflacht; Medianlobus seitlich vor der Spitze "plötzlich" enger werdend [Fig. W25.12];

·        6*.  durch die Innensackstruktur des Aedoeagus: Diese ist 4x länger als (an der breitesten Stelle) breit [Fig. W25.13][Fig. W25.9][Fig. W25.10].

Fraß- und Entwicklungspflanzen der Arten

Kyklioacalles roboris wird ebenso oft aus der Ästchenstreu von Quercus robur wie auch aus der Streu verschiedener anderer Laubbäume, z.B. Castanea sativa (Fagaceae), gesiebt. Selbst im Detritus von Carpinus betulus findet sich diese Art oder kann an schwülen Mai-Tagen sogar von Corylus avellana (Corylaceae) geklopft werden. An Birkengewächsen (Betulaceae) wird die Art seltener angetroffen, aber der Autor konnte die Art in den zentralen Pyrenäen an dünnen, im Absterben begriffenen Zweigen und Stockausschlägen von Fraxinus (Oleaceae) beim (ektophytischen) Rindenloch- oder Raspelfraß sowie des Nachts bei der Eiablage beobachten [Fig. W25.14]. Selbst von den Zweigen junger Weißtannen (Abies alba) wurde die Art in größerer Höhe (Austria: Kärnten) geklopft; und so ließe sich denn diese silvicol-phytodetriticole (manchmal auch xylophage), aber stets polyphage Bindung anhand einer mehr oder weniger unspezifischen Reihe von Baum- und Straucharten fast beliebig fortführen. [Fig. W25.15] Dass sich diese Arten jedoch in verpilzten Zweigen entwickeln, wie manchmal in faunistischen Arbeiten zu lesen ist, halte ich für ein - wenn sich auch hartnäckig haltendes - Märchen. [Koch 1992: 301]

Auch bei Kyklioacalles navieresi scheint mir keine Präferierung von spezifischen Baum- oder Straucharten vorzuliegen; jedenfalls lassen sich aus den bisherigen Aufsammlungen (überwiegend Siebungen) auf die habitatspezifischen Bedingungen bzw. Wirtspflanzenbindungen keine unmittelbaren Rückschlüsse ziehen. Auch diese Art scheint ausgesprochen oligo- bzw. polyphag zu sein! [Nota]

 

Gesamtverbreitung

Es gehört zu den Binsenweisheiten entomologischer Forschung, dass man auf der Suche nach den habitatsspezifischen Voraussetzungen verschiedener, nahe verwandter Arten immer das Gesamtverbreitungsgebiet einer Art – zumal wenn es praktisch die ganze Westpaläarktis umfasst – im Auge behält. Abgesehen von endemischen Arten oder solchen mit einem sehr begrenzten Verbreitungsgebiet können lokalfaunistische Arbeiten zu einer solchen Fragestellung bekanntlich kaum einen nennenswerten Beitrag leisten. Das unterscheidet das hierzulande immer noch weit verbreitete und häufig ausschließlich betriebene "Sammeln" in engen, oft sogar politischen (nicht selten sogar „historisch“ längst überholten) Grenzen von der biogeographischen Forschung [Fig. W25.16].

 

Insgesamt wurden von mir im Jahre 2002 1095 Exemplare beider Arten von über 150 Fundorten in ganz Europa untersucht. [Stüben 2003a: 146/148] In keiner einzigen Gesiebe-Probe fanden sich beide Arten gleichzeitig. Das ist ungewöhnlich, sollte man doch annehmen, dass bei Siebungen an vielen Plätzen in einem Radius von mehreren Hundert Metern Aufsammlungen stattfinden. Aber tatsächlich fanden sich auch in eigenen Aufsammlungen, die häufig sehr "diversifizierend" (in verschiedenen Habitaten und an unterschiedlichen Baumarten eines Fundplatzes) angelegt sind, niemals beide Arten in einer einzigen Probe. Ich gehe daher hier davon aus, dass es sich bei dem Vorkommen der beiden Arten Kyklioacalles roboris und Kyklioacalles navieresi nicht um ein allopatrisches, wohl aber parapatrisches Verbreitungsmuster handelt (die jeweiligen Populationen also oft im selben geographischen Raum "mosaikartig" vorkommen, sich aber hier nicht "überlappen").

Konnten - wie oben beschrieben - bei den beiden genannten Arten bisher keine Unterschiede in den Bindungen an spezifische Fraß- und Entwicklungspflanzen festgestellt werden, so scheint dies bei den abiotischen Anspruchsfaktoren anders zu sein. [Fig. W25.1][Fig. W25.2]

Die Karte [Fig. W25.17] gibt den Stand nach der Artaufspaltung des Kyklioacalles roboris-Komplexes anhand von 1611 Exemplaren und mittlerweile 232 teils durch Koordinaten gestützten Fundorteinträgen bis zum Ende des Jahres 2004 wieder.

[Fundorte: K. navieresi] [Fundorte: K. roboris]

In einer ersten Annäherung scheint Kyklioacalles navieresi im Süden Europas (z.B. Pyrenäen bzw. Alpen) nicht bis in den extremen montanen Raum vorzustoßen. Umgekehrt würde ich bei Kyklioacalles roboris zunächst vorsichtig von einer auch montanen Art sprechen, die kälteresistenter zu sein scheint, also durchaus die höheren Lagen der Alpen und der Pyrenäen erreicht. Zieht man z.B. eine Linie von Saint-Étienne nach Grenoble, einen Raum, den ich sehr intensiv untersucht habe, dann stellt man fest, dass auf dem Mont Pilat und in den höheren Lagen um Grenoble nur die Art Kyklioacalles roboris gesiebt werden kann, während Kyklioacalles navieresi eher die mittleren, Rhône-nahen, eindeutig xerothermeren Lagen bis 300 m präferiert. [Fig. W25.17] Zunächst würde ich also eine temperaturabhängige (feuchtigkeitsabhängige?) Verbreitung (im Jahresmittel) der beiden Arten als erste Arbeitshypothese annehmen.

Die Verbreitung im Rheinland

Nähert man sich mit einer solchen Arbeitshypothese dem Rheinland, ist man beim Betrachten der entsprechenden Verbreitungskarte zunächst mehr als überrascht und beginnt zu begreifen, warum Lokalfaunisten sich so schwer getan haben, die Unterschiede zwischen den beiden Arten wahrzunehmen. Warum hätten sie auch danach suchen sollen? Die Gemengelage beider Arten scheint keine klaren Präferenzen erkennen zu lassen, das "Knäuel" sich nicht aufzulösen: [Fig: W25.18]

Es sollte - scheinbar - aber noch "uneindeutiger" kommen. Bei einer der vielen gemeinsamen Exkursion mit den Kollegen von COLEO auf dem Bausenberg hatte ich am 21.6.2003 zum ersten Mal beide Arten im Sieb. Nirgendwo im gesamten europäischen Verbreitungsgebiet war es mir gelungen, beide Arten an einem ausgewiesen kleinräumigen Standort - der Vulkankegel des Bausenbergs in der Eifel umfasst gerade einmal 1 km2 - nachzuweisen. [Fig. W25.19] Sollte also dieser kleine Eifelvulkan, der schon 30 Jahre zuvor eine ganze Generation rheinischer Entomologen beschäftigt hat, mit Recht als „Schatzkammer der rheinischen Fauna“ bezeichnet wurde und schließlich am 14.4.1981 endgültig unter Naturschutz gestellt wurde [Becker 1975] [Thiele & Becker 1975][Hoffmann & Thiele 1982], ein weiteres „Geheimnis“ preisgeben?

Faunistisch-ökologische Untersuchungen auf dem Bausenberg

Beschreibung des Untersuchungsgebietes „Bausenberg“ (Eifel)

Der Bausenberg, der mit einer Höhe von 339,8 m über N.N. im Regenschatten der Hocheifel liegt (N50°28’ E7°13’), ist vom milden Klima der Rheineifel geprägt. [Fig. W25.19] Sowohl der zum Brohltal hin abfallende, teils natürliche belassene, teils vom Abbau der Schlacke bestimmte Südhang als auch der obere Teil des Ringwalles werden von Schlacken mit geringer Bodenbildung eingenommen. Dieser Teil kann rasch austrocknen und sich unter der offenen Vegetation, die jedoch in den letzten 30 Jahren in großen Bereichen verbuschte, stark erwärmen. Der östliche und westliche Teil des Kraterfußes bestehen hingegen überwiegend aus schluffigen, meist kalkreichen Böden mit einer äolischen Komponente: Windeinwehungen aus dem lössreichen Ackerland der Umgebung. Wenigstens hier kam es zu einer - wenn auch durch die Hangneigung und die nachrutschenden Schlacken und Aschen nicht ungestörten - Bodenentwicklung. [Stephan 1975]

Die ersten koleopterologisch-faunistischen Bemerkungen zum Bausenberg finden sich bei C. Roettgen [Roettgen 1911]. Aber erst die Arbeiten von K. Koch und H. Gräf in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts richteten das Augenmerk der rheinischen Koleopterologen auf den Bausenberg. [Koch 1975] [Koch & Gräf 1982].

Es war die Zeit (1970-1973), in der der Autor noch als Schüler mit der Erforschung der rheinischen Curculionoidea begann und an den Exkursionen der Arbeitsgemeinschaft Rheinischer Coleopterologen unter der Leitung seines späteren Lehrers A.M.J. Evers (Krefeld) auf dem Bausenberg teilnahm. Die damaligen Exkursionen standen ganz im Zeichen des Projekts zur „Erforschung der Tier- und Pflanzenwelt des Bausenbergs“, wie es von H. U. Thiele und J. Becker initiiert wurde. [Thiele & Becker 1975] [Becker 1975] [Hoffmann & Thiele 1982]

Fundumstände von Kykliocalles navieresi und Kyklioacalles roboris am Bausenberg [Fig. W25.20]

Nachdem ich am 21.6.2003 während eines kurzen Aufenthalts mit der „Gemeinschaft für Coleopterologie“ (COLEO e.V.) am Bausenberg beide Arten siebte, fand zusammen mit Friedhelm Bahr (Viersen) am 21.9.2003 eine zweite Begehung der Süd-Seite des Kraterkamms und der nach Norden weisenden Innenseite des Kraters statt. Dabei wurde von mir an solitären Eichen sehr trockener Standorte in der Nähe des Steinbruchs Kykliocalles navieresi [Fig. W25.21] und von Friedhelm Bahr an Hainbuchen auf der Innenseite des Kraters, einem etwas feuchteren Standort [Fig. W25.22], Kyklioacalles roboris in jeweils drei Exemplaren gesiebt. Siebungen an Haselnusssträuchern ergaben keine weiteren Nachweise.

Am 10. und 11.7.2004 besuchten wir dann ein drittes Mal die Trockenhänge der Süd-Seite und diesmal die östlich bzw. nördlich gelegenen Hochwälder am Rande des Kraters. Es hatte in den Wochen und Tagen zuvor heftig geregnet, und die Temperatur betrug tagsüber 15 – 17 °C. Aus einem Eichenwald auf dem Nordkamm siebten wir in großer Anzahl ausschließlich Kykliocalles navieresi. [Fig. 25.23] Ebenso fand ich diese Art erneut an solitären Eichen sehr trockener Standorte in der Nähe des Steinbruchs auf den Hängen der Südseite in über 280 m über N.N. [Fig. 25.24] Diese zum Brohltal abfallenden Südhänge sind thermisch sehr begünstigt und weisen zahlreiche xerotherme Gehölze auf hohlraumreichen Schlackeböden auf. [Stephan 1975] An dem zuletzt genannten Fundort fand ebenfalls eine Nachtexkursion bei ca. 13 °C statt. Trotz intensiven Klopfens konnten nur wenige Acalles dubius-Exemplare - eine auf dem Bausenberg sehr häufige Art - vor allem an den Stockausschlägen von Hainbuchen (Carpinus) nachgewiesen werden.

Völlig anders präsentierte sich diesmal jedoch die Artenzusammensetzung an den Hainbuchen-Standorten. Wieder fand sich wie schon im Jahr zuvor auf dem etwas feuchteren Hainbuchen-Standort der nach Norden weisenden Innenseite des Kraters Kyklioacalles roboris zusammen mit zahlreichen Exemplaren der feuchte Standorte präferierenden Art Ruteria hypocrita. Doch im gleichen Gesiebe fanden sich auch Exemplare von Kykliocalles navieresi! Die gleiche Artenzusammensetzung stellte sich in den Siebungen am Rande eines feuchten Buchen-Hochwaldes am Fuße des Osthanges ein: Neben der feuchte Standorte präferienden Art Ruteria hypocrita wurde ein Exemplar von Kyklioacalles roboris und zwei weitere Exemplare von Kykliocalles navieresi nachgewiesen. [Fig.W25.25] Den gleichzeitigen Fund beider Kyklioacalles-Arten führe ich jedoch darauf zurück, dass es an diesen Standorten immer auch solitäre Eichen gibt. [Fig. W25.26] So konnten infolge äolischer und fluvialer Stöckchenverdriftungen auf steiler Hanglage zu diesem Zeitpunkt noch keine streng getrennten Siebungen durchgeführt und damit getrennte Nachweise erzielt werden. Die Bindung von Kyklioacalles roboris an feuchtere Standorte präferierende Hainbuchen-Bestände auf dem Bausenberg fand jedoch eine unmittelbare Bestätigung in den tieferen Lagen des Südhangs unter 250 m über N.N. Dieser Bereich ist heute weitgehend verbuscht und bei weitem nicht mehr so xerotherm wie die weitläufigen Eichenbestände oberhalb des Steinbruchs. Breite Hecken mit vereinzelten Hainbuchen werden von landwirtschaftlich genutzten (Trocken-)Wiesen unterbrochen. Hier ist es möglich gezielt an solitären Hainbuchen zu sieben ohne Gefahr zu laufen, auf von Wind und Wetter verdriftetes Eichensubstrat zu stoßen. [Fig. W25.27] Und an diesen oft von dichten Rubus-Gewächsen eingefassten Hainbuchen auf einem relativ flachen Terrain fand sich dann tatsächlich nur Kykliocalles roboris.

Solche Indizien reichen natürlich nicht aus um sicherzustellen, dass die genannten Arten sich nach Wirtspflanzen „aufspalten“ lassen – hier Kykliocalles roboris an Carpinus betulus und Kykliocalles navieresi an Quercus robur -, und dass dieser zunächst nur für den Bausenberg spezifischen Nischenbesetzung an unterschiedlichen Gehölzen eine ökologische Priorität eingeräumt werden darf. Warum sollte z.B. die hygrophilere Art Kykliocalles roboris nicht auch an feuchteren Quercus-Standorten vorkommen?

Methodisch ist solchen Fragenstellungen bei Cryptorhynchinae ganz sicher nicht mit Fallen-Aufsammlungen [Becker 1975] oder gar mit dem Klopfschirm beizukommen. Beide Fangmethoden haben sich nach jahrelangen und äußerst intensiven Aufsammlungen in den 70er Jahren auf dem Bausenberg als wenig ergiebig bzw. aussagekräftig erwiesen: So nennt Koch lediglich 5 Nachweise für Acalles dubius (ehemals Acalles turbatus) und zählt gerade einmal 4 Exemplare von Ruteria hypocrita (ehemals Genus: Echinodera) auf. Kyklioacalles roboris (hier noch beide Arten!) käme danach mehrfach, aber meist vereinzelt vor, sei also keineswegs „häufig“. [Koch 1975:294]

 

Dass bei uns in nur einer einzigen, 15 Minuten währenden Siebung auf gerade einmal einem Hektar ein Vielfaches der genannten Exemplare sich auf dem Bausenberg einstellte, zeigt nur, dass Klaus Koch schon damals mit seiner Einschätzung der Relevanz der eingesetzten Fangmethoden sehr selbstkritisch umzugehen wusste: „Eine Sammelmethode, die sicherlich noch wesentlich zur Bereicherung der Artenliste (des Bausenbergs – der Verfasser) beigetragen hätte, nämlich der Gebrauch des Käfersiebes, wurde leider nicht angewandt.“ [Koch 1975: 280]

Man könnte es an dieser Stelle auch zeitgemäßer formulieren: Cryptorhynchinae haben hierzulande auf Roten Listen so lange nichts zu suchen, wie die geeignete Fangmethode, nämlich die „Siebung“, nicht oder nur spärlich bzw. gelegentlich zur Anwendung kommt!

Darüber hinaus ist die kontinuierliche, durch keine längeren Brachzeiten infolge von Rodungen unterbrochene Waldgenese selbst der entscheidende Faktor für den Nachweis bzw. Nicht-Nachweis heimischer Acalles-Arten. Wo der Wald einige Jahre oder Jahrzehnte großräumig Viehweiden Platz machen musste, werden sich keine stabilen Populationen mehr nachweisen lassen (auch nicht in Jahrhunderten!). Anders formuliert: Der Nachweis zahlreicher Acalles-Arten ist ein hervorragender Indikator für eine lang anhaltende, ununterbrochene Waldgenese. Umgekehrt sagt das Fehlen flugunfähiger Cryptorhynchinae nichts über für Acalles-Arten heute durchaus geeignete Waldbiotope aus. Damit kommt der „Seltenheit“ bzw. dem Noch-Vorhandensein dieser Arten – über deren Schutz hinaus (das ist aber ein anderes Thema) – natürlich auch keine weiterführende Bedeutung als Indikator für schützenswürdige Waldstandorte a priori zu. Wo Cryptorhynchinae fehlen, sind naturbelassene Waldstandorte nicht weniger schützenswert!)

Ergebnisse und Diskussion

Die am 25.9. 2004 mit dem Kollegen Horst-Dieter Matern vorgenommenen Siebungen auf der nach Norden weisenden Innenseite des Kraters - diesmal an gezielt ausgewählten einzelnen Hainbuchen und Eichen - ergab das bekannte Bild: Obwohl sehr genau darauf geachtet wurde, dass diese letzten Siebungen unmittelbar im Stammbereich der Hainbuchen stattfanden und von den weiter oberhalb angepflanzten Eichen über äolische und fluviale Verdriftungen kein Material eingetragen wurde, fanden sich an diesem Standort an den Hainbuchen wieder beide Arten! [Fig. W25.28]

Offensichtlich ist der Gradient „trocken-feucht“ auf den porösen Schlacken dieses Standortes so „grenzwertig“, dass selbst mit kleinräumigen Siebungen die Arten nicht mehr gezielt gesammelt bzw. getrennt werden können. Allerdings ist unter 100en von Aufsammlung in ganz Europa dies nachweislich der einzige Standort, an dem beide Arten kleinräumig nebeneinander vorkommen. Keineswegs aber stellt dieser eine Fall eine zu „vernachlässigende Größe“ dar – im Gegenteil: Er liefert den wichtigen Hinweis, dass offensichtlich die Bindung an Laubbaumarten die eigentliche, zu „vernachlässigende Größe“ bei diesen und anderen mitteleuropäischen Waldarten aus der Unterfamilie der Cryptorhynchinae ist.

Die These, dass in weiten Teilen Europas Kyklioacalles roboris die feuchtigkeitsresistentere Art ist, muss daher um die These, dass Kyklioacalles navieresi die eindeutig xerothermere Standorte präferierende Art ist, ergänzt werden. So fand sich auf den Südhängen des Bausenbergs (am Steinbruch) in den lichten, trockenen Quercus robur –Wäldern (besser: -Gebüschformationen) ausschließlich diese Art! Dieser Teil des Bausenbergs kann rasch austrocknen und sich unter der offenen Vegetation in den Sommermonaten sehr stark erwärmen. Ich wage daher die Prognose, dass man auf solchen Standorten niemals Kyklioacalles roboris finden wird. Legt man die Erfahrungen mit anderen Kyklioacalles-Arten zugrunde, werden sich die Larven dieser Art - während der dreimonatigen Entwicklung im Hochsommer - in den ersten beiden Larvalstadien mit solchen trockenen Habitatstrukturen nicht abfinden, hier also keine geeigneten Entwicklungsmöglichkeiten vorfinden (vgl. dazu: [Stüben 2003e, 2003d, 2004g].

 

Natürlich sollten derartige im Freiland gewonnene Erfahrungen und unter den genannten methodischen Bedingungen aufgestellte Thesen immer durch Laboruntersuchungen ergänzt werden. Nur so lassen sich ökologische Feldstudien auf ihre biologischen Wurzeln hin überprüfen – vom „Kopf auf die Füße stellen“! Dabei könnten solche Untersuchungen ihren Ausgang in der Nachzucht der jeweiligen Art nehmen. Während jedoch bei den Imagines eine hohe Toleranzschwelle anzunehmen ist, sollten die Larven in ihren jeweiligen Stadien Feucht-Trocken-Experimente durchlaufen bzw. solchen Experimenten ausgesetzt werden.

Das wäre dann aber weiterführenden Studien vorbehalten.

 

Literatur

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Adresse des Autors
Dr. Peter E. Stüben
CURCULIO-Institute
Hauweg 62, D- 41066 Mönchengladbach, Germany
E-Mail: P.Stueben@t-online.de

* Die Redaktion der WEEVIL NEWS des CURCULIO-Instituts bedankt sich bei COLEO e.V. für die Rechte am Wiederabdruck des Artikels und – für diesen Zweck – für die Rechte an den Abbildungen.