Weevil News
http://www.curci.de/Inhalt.html
No. 46
5 pp.
8. October 2009
ISSN 1615-3472
Germann, C. (2009): Bericht über eine Exkursion nach Kreta (Griechenland) mit Einblicken in die Rüsselkäfer-Fauna (Coleoptera, Curculionoidea). - Weevil News: http://www.curci.de/Inhalt.html, No. 46: 5 pp., CURCULIO-Institute: Mönchengladbach (ISSN 1615-3472).

Bericht über eine Exkursion nach Kreta (Griechenland) mit Einblicken in die Rüsselkäfer-Fauna (Coleoptera, Curculionoidea)

by
Christoph Germann (Thun)
with 15 figures, 2 maps and 1 table
 
 
[Germann]
Manuscript received: 7th July 2009
Manuscript accepted: 4th October 2009
 
 
Abstract
Report on an excursion to Crete (Greece) with insights into the weevil fauna. A report of an excursion to Crete Island is given. The excursion took place from 9th to 23rd May 2009. At 11 sites, 61 species and 254 specimens were recorded, among them the following five species, not yet cited from Crete: Leperisinus fraxini, Lixus sanguineus, Lixus scabricollis, Melaleucus picturatus, Otiorhynchus ovalipennis.
 
Zusammenfassung
Ein Exkursionsbericht mit Resultaten zur Rüsselkäfer-Fauna der Insel Kreta wird vorgestellt. Die Exkursion fand vom 9. bis 23. Mai 2009 statt. An 11 Fundorten wurden 61 Arten in 254 Individuen nachgewiesen, darunter die folgenden fünf für Kreta bisher noch nicht gemeldeten Arten: Leperisinus fraxini, Lixus sanguineus, Lixus scabricollis, Melaleucus picturatus, Otiorhynchus ovalipennis.
 
Keywords
Curculionoidea, excursion report, species list, faunistics, Crete, island fauna, Greece.
 
1. Methodik
Während einer Exkursion vom 9. bis 23. Mai 2009 wurden Rüsselkäfer gesammelt und Beobachtungen zu Biotopen und zur Ökologie einiger Arten an 11 Fundorten im mittleren Teil Kretas gemacht [Fig. W46.17], [Fig. W46.18]. Durch die beschränkten Raumverhältnisse auf dem Fahrrad wurde, neben einem kleinen feinmaschigen Kescher, ausschließlich Handfang betrieben. Die Nomenklatur der Artenliste richtet sich nach dem Katalog von [Alonso-Zarazaga & Lyal 1999] mit Ergänzungen von [Alonso-Zarazaga & Lyal 2002] und [Alonso-Zarazaga 2005]. Alle Arten sind in der Sammlung des Autors hinterlegt.
 
2. Einführung
Nach Literaturdaten mit ersten Meldungen von [Von Heyden 1884] (13 Arten), dem ersten Katalog von [Von Oertzen 1886] (86 Arten), den zusätzlichen Meldungen von [Faust 1889a] (15 Arten) und [Faust 1889b] (8 Arten), der Liste in [Fauna Europaea 2007] (160 Arten) und dem aktuellen Griechenland-Katalog von [Bahr, Winkelmann & Bayer 2008] (145 Arten), können zusammenfassend etwas über 200 Curculionoidea-Arten für Kreta angeführt werden. Im Vergleich mit anderen mediterranen Inseln wie Zypern [Alziar 2009] (238 Arten) oder Korsika [Sainte-Claire Deville 1914] und Nachträgen [Sainte-Claire Deville 1920] [Sainte-Claire Deville 1926] (414 Arten), mit Sardinien [Colonnelli 2003] (711 Arten) oder auch kleinen Inseln wie Elba (215 Arten [Germann & Geiser, in Vorbereitung]) zeigt die kretische Fauna eine ähnlich erstaunlich niedrige Artenzahl wie Zypern. Dieser Vergleich von Artenzahlen soll selbstverständlich nur als grobe Übersicht verstanden werden, so ist die Voraussetzung für einen direkten Vergleich allein bereits (bio-) geographisch keineswegs gegeben. Auch der Erfassungsstand der Rüsselkäfer ist, abhängig von der jeweiligen Insel, sehr verschieden.
 
Die erwähnte Artenzahl Kretas dürfte höher liegen, als es die bisherigen Literaturdaten zeigen, welche durch ferienreisende Entomologen meist während der Hochsaison erhoben wurden. So dürften auch im Winter und im ersten Frühjahr weitere, möglicherweise auch neue Arten dazukommen, wie dies erst kürzlich auf der Insel Lesbos an Hand der früh aktiven Art Amicromias tricholepis Yunakov & Germann, 2008 aufgezeigt wurde [Yunakov & Germann 2008]. Mit 20 bis 30 endemischen Taxa (Arten und Unterarten), jeweils abhängig vom Autor, liegt der Anteil endemischer Arten Kretas bei immerhin 10-15%, was auf die seit mehreren Millionen Jahren bestehende Isolation der gebirgigen Insel vom Festland (Peloponnes) zurückzuführen sein dürfte. Die Exkursion und einige dabei gewonnene Resultate werden im Folgenden präsentiert und diskutiert.
 
3. Exkursionsbericht mit Resultaten
Unsere Exkursion startete in Heraklion am Flughafen [Fig. W46.1] und führte uns direkt in den Osten, über mittlere Küstengebirge nach Rethymnon. Bereits die ersten Steigungen ließen uns erahnen, dass die "Tour de Kreta" mit Fahrrad und Anhänger mit Kleinkind zur sportlichen Herausforderung wird!
 
In malerischer Landschaft und unter Olivenhainen wurde während einer kurzen Pause ein Psallidium aus der Saumvegetation gekeschert [Fig. W46.2], und nahe der Stammbasis eines Olivenbaums wurde Smicronyx cyaneus beim Lochfraß an den Fruchtständen des Schmarotzers Orobanche sp. beobachtet. Nach einem genüsslichen Café Frappé am Folgetag an der Küste [Fig. W46.3] wurden noch die 450 Höhenmeter bis Kastellos bei Armeni zurückgelegt. Die Landschaft in diesen mittleren Höhen im Zentrum der Insel wird geprägt von eindrucksvollen alten Wallonen-Eichen Quercus ithaburensis [Fig. W46.4]. In deren Schatten entwickelt sich im Mai eine an Hochstauden erinnernde, sehr reichhaltige Flora. Eine Donus-Art wurde – neben Ceratapion damryi – an schattigen Stellen auf Blättern der angebauten Artischocke (Cynara) gefunden. Ein vorläufiger Bestimmungsversuch zeigte große Übereinstimmung mit dem erst kürzlich beschriebenen Donus falakronensis Winkelmann, 2006 mit Typuslokalität in Nordgriechenland (Falakron) aus der Donus cyrtus-Artengruppe. Nur eine gründliche Revision dürfte eine exakte Zuordnung der vorliegenden Art ermöglichen, bestehen doch nach Winkelmann [Winkelmann 2006] noch zahlreiche weitere Unklarheiten (Variabilität der Arten, Einfluss der Höhenstufe, Pflanzenbindung etc.).
An Aronstab (Arum cyrenaicum) konnte Brachycerus cf. muricatus zahlreich daran fressend gefunden werden [Fig. W46.5]. Dieses Verhalten wurde bereits 1836 beschrieben (in [Germann 2004]), ist dennoch erstaunlich, enthält Aronstab doch verschiedene starke Toxine (u.a. Alkaloide, Glykoside und Saponine).
Von Armeni aus wurde die Südküste als nächstes Ziel ausgewählt. Die eindrucksvolle Kotsifou-Schlucht war das letzte Hindernis vor der steilen Abfahrt zur Küste. Die einzigartige Flora Kretas lässt sich an den steilen Kalkstein-Wänden besonders eindrücklich bewundern [Fig. W46.6]. An Echium italicum wurde der schön gezeichnete Mogulones beckeri gefunden. Nach Übernachtung in einsamer Bucht am Strand und dem Fund einer vermutlich ausgesetzten, nicht näher bestimmten Schildkröte in einem bescheidenen Fließgewässer [Fig. W46.7] wurde der Küstenort Agias Gallini als Etappenziel gewählt. Dort konnte schließlich der unverwechselbare Otiorhynchus obesus [Fig. W46.8] – die stets vertretene Art in bisher überprüften Kreta-Exkursionsausbeuten – bei Nacht an Ceratonia siliqua (Johannisbrotbaum) individuenreich geklopft werden. Die Strandflora bot neben der Allerweltsart Hypera postica an Medicago marina nur Psallidium sp. beim nächtlichen Klopfen.
 
Nach müßigem Strandgenuss folgte die Bergetappe nach Zaros, bekannt durch das gleichnamige Mineralwasser, die Forellenzucht und durch die sehr empfehlenswerte Rouvas-Schlucht [Fig. W46.9]. Nach gut zwei Stunden Fußmarsch durch die Schlucht erreichten wir eine malerische Lichtung im Eichen-Platanen-Wald auf etwa 950 m ü. NN [Fig. W46.10]. An den Eichen (Quercus coccifera L., gelegentlich Q. ilex L.) und an Ahorn (Acer sempervirens L.) konnten neben Cionellus gibbifrons auch Phyllobius fulvagoides, Polydrusus cocciferae cf. ssp. creticus, Polydrusus gracilicornis und P. cf. sicanus geklopft werden. Diese typischen Frühjahrstiere waren im Mai noch individuenreich zu finden.
 
Von Zaros aus durchquerten wir nach einer längeren Abfahrt die Messara-Ebene mit endlosen Olivenbaum-Kulturen [Fig. W46.11] bis nach Kastellos, einem unspektakulären landwirtschaftlich geprägten Städtchen. Uns trieb der – mit Veloanhänger noch viel stärker spürbare – ermüdende Wind dazu, in Kastellos Halt zu machen. Beim Stadtrundgang konnte an einer stark bewässerten Cotoneaster-Gartenhecke Otiorhynchus ovalipennis in Menge geklopft werden! Die Art war bisher noch nicht für Kreta bekannt, ist jedoch im östlichen Mittelmeergebiet weit verbreitet. Möglicherweise wurde O. ovalipennis auf Kreta eingeführt, wie dies für Otiorhynchus-Arten vielfach bereits dokumentiert wurde.
 
Schließlich wurden noch zwei Strandtage kurz vor Heraklion und vor dem Abflug eingeschoben. An einer Ruderalstelle konnten jedoch einige spannende Beobachtungen gemacht werden; Lixus sanguineus wurde unter der Rosette einer Asteraceae gefunden [Fig. W46.12]. Mit Lixus scabricollis wurde eine weitere Lixus-Art individuenreich (7 Exemplare) unter Atriplex halimus L. nachgewiesen [Fig. W46.13]. Die kleinen Tiere waren durch ihre sandfarbene Wachsschicht sehr gut getarnt. Auch Melaleucus picturatus wurde unter demselben Pflanzenpolster in einem Exemplar gefunden. Am benachbarten Plantago lagopus L. wurden neben Mecinus circulatus gleich zwei weitere Mecinus-Arten (M. variabilis und eine noch unbestimmte Art) festgestellt [Fig. W46.14]. An Verbascum sp. wurde neben dem häufigen Cionus olivieri [Fig. W46.15] auch ein Exemplar der östlichen Art Cionus schultzei festgestellt. Mit total 61 nachgewiesenen Rüsselkäfer-Arten in 254 Individuen und 5 Neumeldungen für Kreta [Fig. W46.16A] und [Fig. W46.16B] war die vorliegende Exkursion, trotz der Umstände, faunistisch gesehen, sehr erfolgreich. Die Bestimmungen von 9 Arten sind noch unsicher: cf. (6 Arten); es wurde lediglich mit einer ähnlichen Art verglichen: sp. aff. (2 Arten) oder die Exemplare sind nicht bis zur Art bestimmbar: sp. Letzteres trifft auf Psallidium zu, hier ist eine sichere Bestimmung – abgesehen von der weiter verbreiteten Art P. maxillosum und einigen Lokalendemiten – ohne eine sorgfältige Revision dieser Gattung schlicht nicht möglich. Alle Funddaten des vorliegenden Beitrages werden in den Griechenland-Katalog von [Bahr, Winkelmann & Bayer 2008] einfließen.
 
Danksagung
Franziska Hasler und unserem Sohn Laurin danke ich herzlich für ihr Verständnis während der gelegentlichen Wartezeiten bei den Rüsselkäfer-Beobachtungen und Nicole Montandon (Kastellos) für ihre Gastfreundschaft auf Kreta. Elisabeth Danner (Luzern) danke ich für ihre botanischen Auskünfte und Herbert Winkelmann (Berlin) für seine hilfreichen Bemerkungen zu einigen Bestimmungen und für seine Auskünfte zu Donus. Christoph Bayer (Berlin) und Peter Sprick (Hannover) danke ich für die kritische Durchsicht des Manuskripts.
 
4. Literatur
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Addenda and corrigenda to ‘A World Catalogue of Families and Genera of Curculionoidea (Insecta: Coleoptera). - Zootaxa 63: 1-37.
 
Alonso-Zarazaga, M. A. (2005):
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Alziar, G. (2009):
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Colonnelli, E. (2003):
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Faust, J. (1889a):
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Faust, J. (1889b):
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Erfolgreiche Zucht von Brachycerus undatus (Coleoptera: Curculionidae, Brachycerinae). - Snudebiller 4: Studies on taxonomy, biology and ecology of Curculionoidea. Pp. 234-238. Curculio-Institut, Mönchengladbach.
 
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